Unser gesamter Organismus ist durch unterschiedliche Barrieren in viele einzelne Arbeitsbereiche unterteilt. Jeder Bereich hat eigene Aufgaben zu erfüllen und ist ein einzelnes Kettenglied im Gesamtmechanismus. Verschiedene Organe haben jeweils charakteristische Aufgaben und sind deshalb eigene Systeme. Manche Organe können noch weiter unterteilt werden, wie zum Beispiel die Niere, die aus Rinde, Mark und Becken besteht.
Stell dir dahingehend den Körper wie ein Bürogebäude von einem Medienunternehmen mit vielen Abteilungen vor. Auf einzelnen Stockwerken müssen die Bedingungen ganz besonders sein, um Ton- und Bildaufnahmen produzieren zu können. Wieder andere Abteilungen bearbeiten die produzierten Aufnahmen nach und brauchen dafür andere Räume und anderes Equipment. Die leitende Abteilung übernimmt Organisatorisches und die Kommunikation zwischen den anderen. Alle Mitarbeitenden können miteinander kommunizieren, manche Prozesse müssen allerdings über Zwischeninstanzen geregelt werden. Diese ganzen Ressorts müssen zwar einerseits voneinander abgetrennt sein, aber auch miteinander verbunden, um die Gesamtfunktion gewährleisten zu können.
Barrieren haben im Körper die wichtige Funktion der Aufrechterhaltung von Gradienten. Als Gradient wird der Konzentrationsunterschied einzelner Moleküle zwischen zwei Bereichen bezeichnet. Eine passende Analogie aus der sichtbaren Welt ist ein Wasserfall. Durch das Gefälle wird hierbei eine Bewegung in eine Richtung erzeugt und dadurch entsteht eine Strömung von großer Energie.
Elektrochemische und Konzentrationsgradienten spielen eine wichtige Rolle für sehr viele Prozesse im Körper. Elektrochemische Gradienten kommen durch Konzentrationsunterschiede von geladenen Molekülen zustande, durch die eine elektrische Spannung erzeugt wird – das spielt beispielsweise eine wichtige Rolle bei der Informationsübertragung von Nervenzellen.
Schauen wir uns nun unterschiedlichste Barrieren in unserem Körper an.
Haut
Die Haut schützt uns in erster Linie vor allen Gefahren der Umwelt – vor Erregern, sowie vor chemischen und physikalischen Beschädigungen. Das „Abschälen“ der Haut nach einem Sonnenbrand ist ein beispielhafter Ausdruck dieses Schutzschildes. Damit ist die Haut die erste Abwehrlinie und gleichzeitig hoch spezialisiert. Um diesen Schutz zu erreichen und aufrecht zu erhalten, besteht die Haut aus vielen einzelnen Schichten mit unterschiedlichen Funktionen. Außen wird die Haut von einer konstanten Hautflora besiedelt. Diese besteht aus Bakterien und Pilzen, die eine Schutzwirkung haben und einen konstanten pH-Wert aufrecht halten. Die Erreger leben praktisch in Einklang mit uns und richten in der Regel keinen Schaden an. Darunter folgen Oberhaut, Lederhaut und Unterhaut.
Bist du schon einmal über einen längeren Zeitraum immer wieder barfuß gelaufen und hast bemerkt, wie sich das Schmerzempfinden mit der Zeit verändert? Dies geschieht einerseits, weil die Oberhaut immer weiter verhornt, sich also eine schützende Hornhaut bildet. Andererseits gewöhnen sich auch die Tast- und Schmerzrezeptoren an die immer wiederkehrenden Reize – dies nennt sich Adaptation.
Neben Schmerz- und Tastrezeptoren sitzen in der Haut auch noch Temperatur-, Druck- und Dehnungsrezeptoren. Durch die vielen Signale erhält die Haut einen guten Eindruck von der Umgebung und bietet einen umfassenden Schutz gegen äußere Einflüsse, seien es Kratzer, Verbrennungen oder Verätzungen. Sie kann jedoch nichts gegen Gefahren ausrichten, die wir über unsere Nahrung zu uns nehmen. Um unseren Körper vor solchen Bedrohungen zu schützen, gibt es Vorrichtungen im Verdauungssystem.
Darmbarriere – Grenzen sind da, um überwunden zu werden
Im Gegensatz zu unserer Haut hat der Darm die wichtige Funktion, die benötigten Nährstoffe in unseren Körper zu leiten. Um den Spagat zwischen Abwehren und Aufnehmen zu schaffen, braucht es auch hier eine ausgeprägte Spezialisierung. Wie unsere Haut besteht die Darmwand aus verschiedenen Schichten und unterschiedlichen Zellen. Die Zellen der Bauchspeicheldrüse erfüllen die Aufgabe, verdauungsrelevante Enzyme zu produzieren und in den Darm zu leiten. Die Enzyme „zerkleinern“ die Nahrung in so kleine Teile, dass sie vom Dünndarm wieder aufgenommen und weitergeleitet werden können.
Neben den Verdauungsfunktionen übernimmt der Darm noch eine wichtige Rolle für unser Immunsystem. Dort sitzen viele Immunzellen, die Erreger erkennen und bekämpfen. Der Darm muss also auch diese Zellen bereitstellen und die Kommunikation zwischen den Immunzellen im Darm und im restlichen Körper erlauben und regulieren. Ist die Darmbarriere nicht intakt, können Erreger in den Blutkreislauf gelangen. Dort müssen sie vom Immunsystem bekämpft werden, was zu Müdigkeit und Abgeschlagenheit führt. In der Fachwelt wird dieser Zustand als leaky gut syndrome bezeichnet.
Plasmamembran – Barrieren mit Vorzügen
Nicht nur große Körperabschnitte wie Haut und Darm sind Abtrennungen. Auf kleinerer Ebene sind Barrieren zwischen einzelnen Zellen wichtig. Tierische Zellen sind durch die Zellmembran voneinander getrennt. Sie ist eine semipermeable Membran, d.h. sie ist nur für ausgewählte Stoffe durchlässig. Vereinfacht kannst du dir die Membran wie einen Kaffeefilter vorstellen. Nur sehr kleine Teile wie Wasser und Kaffeearomen passieren den Filter, die Kaffeekörner selbst bleiben zurück.
Die Plasmamembran ist also wichtig, um benötigte Moleküle innerhalb und schädliche Moleküle außerhalb der Zelle zu lassen. Dennoch muss zur Versorgung der Zellen ein Transport von außen nach innen, sowie Transport und Kommunikation zwischen Zellen stattfinden können. Dafür gibt es spezialisierte Poren und Transporter, welche je nach Zelle, Ausrichtung und Typ einzelne Stoffe von außen nach innen oder von innen nach außen transportieren können. So wird zum Beispiel Traubenzucker (Glucose) in die Zelle geschleust.
Kernmembran – Die Stahlwand um unsere DNA
Der Zellkern ist der Tresor unserer genetischen Information – dort wird unsere DNA verwahrt. Sie muss speziell geschützt werden, weshalb der Zellkern von einer separaten Membran umgeben ist. Diese ähnelt der normalen Zellmembran, jedoch befinden sich in der Kernmembran andere Poren und Transporter. Um die DNA im geschützten Raum innerhalb des Zellkerns zu behalten, werden regelmäßig Arbeitskopien angefertigt – die sogenannte mRNA, welche den Kern verlassen kann. Anhand der mRNA werden anschließend Proteine im Zellplasma synthetisiert.
Um Wachstum und Regeneration gewährleisten zu können, teilen sich die Zellen und auch die Zellkerne regelmäßig, sodass aus einer Mutterzelle zwei gleichwertige Tochterzellen entstehen. Im Zuge dieses Prozesses wird die DNA zunächst verdoppelt und der Zellkern teilt sich – die Kernteilung wird Mitose genannt. Während der Mitose ist es wichtig, dass die Kernmembran weiter stabil und geschlossen bleibt. Wird die Kernmembran durchlässig, kann DNA verloren gehen oder die Aufteilung nicht gleichmäßig erfolgen. In der Folge besteht die Möglichkeit defekter Tochterzellen. Werden diese Fehler nicht von weiteren Kontrollmechanismen erkannt, können sich daraus Tumore entwickeln (dazu später mehr bei den Hallmarks 2 und 3).
Mitochondrienmembran
Mitochondrien kennt man als Kraftwerke der Zelle, denn hier wird Sauerstoff in Energie umgewandelt. Mitochondrien sind Organellen innerhalb der Zellen und durch eine eigene Membran vom Plasma abgetrennt. Aufgrund evolutionsgeschichtlicher Besonderheiten haben Mitochondrien noch eine zusätzliche innere Membran. Dadurch entsteht ein weiterer Raum – der Intermembranraum. Die Abbildung zeigt dir das sehr anschaulich.
Es gibt also den Innenraum der Mitochondrien und den Zwischenraum. Das ermöglicht es, Konzentrationsunterschiede bzw. Gradienten innerhalb des Mitochondriums – zwischen den einzelnen Bereichen – aufzubauen. Stell dir den Gradienten wie das Wassergefälle bei einem Wasserkraftwerk vor. Durch den Ausgleich des Wassergefälles wird eine Turbine angetrieben, die über einen Generator Strom erzeugen kann. Nach dem gleichen Prinzip wird über das Konzentrationsgefälle innerhalb der Mitochondrien Energie erzeugt. Diese Energie in Form von ATP treibt unseren gesamten Organismus an. Jede Zelle hat etliche Mitochondrien und jedes Mitochondrium etliche Turbinen. Ein Defekt in den Barrieren der Mitochondrien hätte verheerende Folgen für die Energiegewinnung, die Zellen und somit unseren Gesundheitszustand.
Blut-Hirn-Schranke
Das Organ zwischen unseren Ohren, auch bekannt als Gehirn, kontrolliert ähnlich einer Steuerungszentrale alle bewussten und unbewussten Vorgänge unseres Körpers. Es muss mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt werden und gleichzeitig besonders vor Gefahren geschützt werden. Deshalb gibt es die Blut-Hirn-Schranke. Wie ein Sicherheitsmitarbeiter zwischen Blutkreislauf und Hirnwasser kontrolliert sie alle Stoffe, die in unser Gehirn weiterreisen dürfen. Denn wenn Krankheitserreger in das Gehirn eindringen, kann dies gravierende Folgen haben. Es können Zellen beschädigt werden, die lebenswichtige Prozesse steuern.
Da sich Nervenzellen im Gegensatz zu anderen Zellen nicht regenerieren können, sind die meisten neurologischen Verletzungen oder degenerativen neurologischen Erkrankungen (wie Alzheimer oder Parkinson) unumkehrbar. Aber auch die Blut-Hirn-Schranke selbst kann beschädigt werden. Malaria, die häufigste Infektionskrankheit weltweit, kann speziell bei Kindern unter bestimmten Umständen zu cerebraler Malaria führen, indem der Erreger eine Durchlässigkeit der Blut-Hirn-Schranke auslöst und das Gehirn bis zum komatösen Zustand beschädigt.
So sinnvoll Schranken und Barrieren auch sind, manchmal wäre eine freie Durchfahrt vorteilhaft, insbesondere wenn man sonst einen Umweg nehmen muss. So ist die Blut-Hirn-Schranke zwar ein wichtiger Schutzmechanismus unseres Körpers, stellt aber auch eine zusätzliche Herausforderung für die Entwicklung von zentralnervös wirksamen Medikamenten dar. Würde ein Wirkstoff zwar seine Wirkung an den Zellen entfalten können, aber die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden, kann der Stoff gar nicht erst an seinen Einsatzort gelangen. Deshalb ist hier Kreativität gefragt.
Die Parkinsonerkrankung ist zum Beispiel gekennzeichnet durch einen Verlust von Dopamin-produzierenden Zellen. Da Dopamin ein wichtiger Botenstoff im Gehirn ist, gibt es den Therapieansatz, dem Gehirn zusätzlich Dopamin zur Verfügung zu stellen. Allerdings ist die Blut-Hirn-Schranke nicht durchlässig für herkömmliches Dopamin. Deshalb bekommen ParkinsonpatientInnen Levodopa. Dies ist ein ähnlicher Stoff, der die Blut-Hirn-Schranke überwinden kann und im Gehirn direkt in Dopamin umgewandelt wird.
Fehlerhafte Barrieren
All diese Membranfunktionen schützen uns vor Krankheiten und halten uns gesund. Doch auch unsere Körperfunktionen sind menschlich und können Fehler machen. Glücklicherweise machen wir es Eindringlingen nicht so einfach und es ist direkt der nächste Kontrollmechanismus bereit und überprüft Zellen auf Fehler, um sie im Notfall zu beheben oder zu unterbinden, dass sich diese weiter ausbreiten. Wie solche Kontrollmechanismen genau funktionieren, erfährst du in den kommenden Artikeln der Hallmarks of Health.
Quellen
Literatur:
López-Otín, Carlos, and Guido Kroemer. “Hallmarks of health.”Cell 184.1 (2021): 33-63. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33340459/
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