Spätestens seit dem berühmten Interview des ehemaligen deutschen Nationalspielers Per Mertesacker aus dem Jahr 2014 ist die Kältetherapie der breiten Öffentlichkeit ein Begriff. Dort gab der Fußballprofi an, sich „drei Tage in die Eistonne zu legen“. Speziell in der Sportszene genießt die Kälteanwendung nicht erst seit seiner öffentlichen Äußerung einen guten Ruf.
Zudem gibt es auch einige Trends, welche Kälte involvieren. Vielleicht hast du schonmal vom „skin icing“ gehört, bei dem man sein Gesicht mit Eiswürfeln behandelt oder von anderen Kältetherapien wie gekühlten Gurken, die auf den geschlossenen Augen landen. Sicherlich hast du auch schon von Wim Hof gehört, der mehrere Rekorde im Eisbaden aufgestellt hat.
Bei der Kryotherapie unterscheidet man im Allgemeinen die lokale Anwendung von der Ganzkörper-Anwendung. In diesem Artikel steht eher die Ganzkörper-Anwendung im Vordergrund. Eine lokale Applikation von extremer Kälte setzen überwiegend von Ärztinnen und Ärzten ein, um beispielsweise Warzen oder kleine Hauttumore einzufrieren und so zu entfernen.
Eissauna oder kaltes Bad?
Kalte Bäder sind weit verbreitet. Zahlreiche Sportmediziner und Fitnessexperten schwören auf diese Regenerationsmethode – vor allem auch, weil die Kühlung ein durchaus angenehmes Gefühl nach sich zieht.
Für eine beschleunigte Regeneration nach anstrengenden Sporteinheiten eignet sich laut einschlägigen Fachkreisen eine kalte Badewanne – ein wirkliches Eisbad ist nicht notwendig. Eine Wassertemperatur von etwa 10° C und eine Verweildauer von ungefähr zehn Minuten soll die Regeneration ausreichend anstoßen. Dies wird mit verschiedenen Punkten erklärt: Zum einen kühlt der aufgeheizte Körper schneller ab, das liegt auf der Hand. Durch die Abkühlung soll der Körper dann schneller mit der eigentlichen Regeneration beginnen können und rascher störende Stoffwechselprodukte aus den Muskeln abtransportieren. Zudem wird die Durchblutung verbessert und kleinere Entzündungsreaktionen, die bei intensiven Sporteinheiten gerne mal entstehen (du kennst sicherlich den Muskelkater allzu gut), werden unterdrückt bzw. abgeschwächt. Auch auf Schmerzen soll das kühlende Bad einen lindernden Einfluss haben.
Neben der einfachen Heimanwendung finden sich mittlerweile vielerorts sogenannte Cryosaunen bzw. Eissaunen. Die institutionellen Anbieter der Eissaunen werben mit vielen verschiedenen Vorteilen der Sitzungen, bei denen man sich für etwa drei Minuten in extrem kalte Kammern mit -190° C begibt.
Zum einen sollen dadurch die sportlichen Fähigkeiten verbessert werden. Das geschieht auf Basis einer beschleunigten Regeneration, einer höheren Sauerstoffsättigung im Blut, reduziertem Muskelkater oder der beschleunigten Heilung von muskulären Mikroverletzungen. Diese Punkte stimmen mit den bisher bekannten Vorteilen der Kälte überein.
Als psychiatrische Benefits werden stimmungsaufhellende Wirkungen und ein besserer Schlaf beschrieben. Zudem sollen auch noch andere medizinische Zwecke erfüllt werden: die Wundheilung sei nach operativen Eingriffen beschleunigt, sowie auch das Immunsystem gestärkt. Des Weiteren werden Verbesserungen der Symptome von Autoimmunerkrankungen genannt.
Im Zusammenhang mit Übergewicht und einem schwachen Bindegewebe wird mit einem gesteigerten Kalorienumsatz, einer Gewebsstraffung und positiven Auswirkungen auf Cellulitis geworben. Unsere körpereigene Struktur kann also gestärkt werden.
Abgesehen von positiven anekdotischen Berichten sind wissenschaftliche Belege für die vielfältigen Effekte dieser extremen Kälte allerdings rar. Die Tatsache, dass manche Universitätskliniken Kältesaunen haben, spricht aber jedenfalls für einen Therapiezweck.
Und was sagt die Wissenschaft?
Tatsächlich ist die Kältetherapie – im Gegensatz zur Biohacking-Szene – derzeit kein wirkliches Trendthema in der Gesundheits- und Langlebigkeitsforschung – trotzdem finden sich einige Studien, die sich mit dem Thema beschäftigen.
PatientInnen mit rheumatoider Arthritis profitieren von einer Kältetherapie bewiesenermaßen. Hier ist der Hauptfokus der Therapie eine Schmerzreduktion in den Gelenken. Gelenke von Rheumatikern sind andauernden Entzündungsprozessen ausgesetzt, die Wärme mit sich bringen. Durch ein Abkühlen der Gelenke verringern sich Schmerzen und die Dosis der Begleitmedikation. Dies machte eine Studie aus 2014 deutlich.
Eine weitere Studie aus 2021 hat den Effekt auf Muskelkater (DOMS – „delayed onset muscle soreness“) untersucht und bestätigt. Für die Studie wurden PatientInnen Kälte-, aber auch Wärmetherapie ausgesetzt. Der Effekt von Kälte ist demnach am größten, wenn die Therapie eine Stunde nach einer intensiven Trainingseinheit eingesetzt wird. Bis 24 Stunden nach der Trainingseinheit wird ein Effekt auf den Muskelkater verzeichnet. Interessanterweise bringt Wärme ähnliche positive Aspekte mit sich. Bestätigt wurde dieses Ergebnis auch von einer weiteren Studie, welche den Einsatz von Kältetherapie bei Verletzungen und zu beschleunigter Regeneration untersuchte. Der Fokus hierbei war die Unterdrückung von Folgeprozessen nach einer Verletzung.
Ein Kommentar der Thomas Jefferson University weist darauf hin, dass viele angepriesene Wirkungen, gerade im ästhetischen und dermatologischen Spektrum nicht ausreichend wissenschaftlich belegt sind und ein anhaltend großer Forschungsbedarf vorliegt. Dementsprechend müssen viele Versprechen der Anbieter noch weiter untersucht und überprüft werden, um final von Vorteilen auf beispielsweise das Hautbild sprechen zu können.
Eisbaden: Mehr als nur ein Trend?
Spätestens seit Wim Hof ist Eisbaden auf vielen Social Media Kanälen präsent. Auch Hollywood Stars, wie der Comedian Kevin Hart, sieht man regelmäßig in der Eiswanne. In seiner Show „Cold as Balls“ interviewed er Gäste, während beide im Eisbad sitzen. Aber auch Wissenschaftler, wie der Stanford Professor Andrew Huberman, sieht man regelmäßig Eisbäder nehmen. Die Frage ist nur, ist all dies ein Trend, oder steckt Wissenschaft hinter dem Eisbaden?
Ist Eisbaden gesund?
Fangen wir mit der wichtigsten Frage an. Ist Eisbaden gesund? Und wenn ja, warum ist das so? Wir haben ja bereits gesehen, dass es wissenschaftlich einige Studien bezüglich der Kältetherapie gibt. Jetzt schauen wir uns das Eisbaden genauer an und welche Vorteile es bringt.
Wer mehr über die Vorteile von Eisbaden erfahren will, sollte sich die Arbeit von Dr. Susanne Søeberg anschauen. Sie hat einige Studien zu dem Thema durchgeführt und hat ihre Ergebnisse in ihrem Buch „Winterschwimmen“ zusammengefasst. Um die Vorteile des Eisbadens besser zu verstehen, müssen wir uns verschiedene Bereiche des Körpers anschauen:
Metabolismus
Einer der vielleicht offensichtlichsten Vorteile von Eisbaden ist seine Auswirkung auf den Metabolismus. Dabei ist nicht unbedingt die direkte Auswirkung gemeint (das eigentliche Eisbaden verbrennt nur wenige Kalorien), sondern die langfristigen Anwendungen. Das entscheidende Stichwort ist beiges Fettgewebe.
Wir besitzen unterschiedliche Arten von Fettgewebe in unserem Körper. Weißes Fett ist unser Energiespeicher und mehr als 90% unseres Fettgewebes besteht darauf. Als Kleinkinder besitzen wir noch eine andere Art von Fettgewebe. Braunes Fett. Dieses ist metabolisch höchst aktiv und sorgt dafür, dass wir Wärme produzieren. Für Babys ist dieses sogar überlebenswichtig, da sie anfällig für Kälte sind und nicht genug Wärme durch Muskelzittern produzieren können. Je älter wir werden, desto weniger braunes Fettgewebe haben wir allerdings. Und hier kommt Eisbaden ins Spiel. Eisbaden kann weißes Fettgewebe in braunes, bzw. beiges (eine Zwischenform) umwandeln. Damit passt sich unser Körper an die niedrigen Temperaturen an und unsere Fettverbrennung wird angekurbelt.
Wusstest Du?
Dr. Susanne Søeberg ist eine Vorreiterin in der Erforschung von Eisbaden, Wärmetherapie und Atemübungen und ihre Auswirkungen auf den Körper. Nach ihr wurde der sogenannte Søeberg Effekt benannt. Beim Søeberg Effekt soll man dem Körper erlauben, nach einem Eisbad, sich aus eigenen Kräften wieder aufzuwärmen. Das Muskelzittern fördert die Ausschüttung von Succinat, welches wiederum die Synthese von braunem Fett anregt.
Neurotransmitter
Während des Eisbadens wird eine ganze Kaskade an Neurotransmittern ausgeschüttet, hauptsächlich Adrenalin und Noradrenalin. Diese Moleküle versetzen unseren Körper in einen extremen Wachzustand.
Nach dem Eisbaden ist die Ausschüttung von Dopamin über längere Zeit erhöht, was unsere Laune heben kann. Doch nicht nur die Laune verbessert sich durch das Eisbaden, auch unser Fokus und Energie. Wim Hof hat ursprünglich mit dem Eisbaden als eine Art Meditation angefangen, um den Verlust seiner Frau zu verarbeiten.
Resilienz
Wer kennt es nicht, der Widerwille oder die innere Zurückhaltung, sobald man in das kalte Wasser steigen soll. Alles in einem schreit einen förmlich an, dass dies eine ganz schlechte Idee ist. Unser Körper hat auch gute Gründe uns davor zu warnen. Eiswasser ist potenziell lebensgefährlich und unsere Instinkte warnen uns davor. Steigen wir dennoch ins Eisbad, dann hat unser präfrontaler Kortex (hier sitzt unser rationales, denkendes Ich) über unser eher instinktives und primitives Gehirn gewonnen. Andrew Huberman nennt dies „Top-down control“, das heißt, dass höhere Gehirnareale (unser präfrontaler Kortex) die Kontrolle über unser instinktives Gehirn übernehmen. Mit anderen Worten, wir steigern unsere Selbstdisziplin und dies kann uns auch in anderen Bereichen im Leben helfen. Sei es die Selbstdisziplin beim Sport, eine gewisse Ernährung durchzuhalten oder für die nächste Klausur zu lernen.
Eine Anleitung zum Eisbaden
Wenn du noch nie Eisbaden warst, stellst du dir sicherlich einige Fragen. Wie lange soll ich Eisbaden? Wie oft soll ich Eisbaden? Und wie kalt soll ich Eisbaden? Und wann soll ich Eisbaden?
Wir geben dir hier in dieser Anleitung zum Eisbaden einen kurzen Überblick:
- Am Anfang: Nie allein Eisbaden. Die Kälte kann eine ziemliche Belastung für deinen Kreislauf sein. Deshalb ist es sicherer, wenn mindestens eine weitere Person dabei ist
- Starte langsam. Du musst keine Weltrekorde brechen. Es reichen wenige Minuten in der Woche aus, um die positiven Effekte von Eisbaden, wie z.B. die Fettverbrennung, zu aktivieren. Laut Andrew Huberman reichen 11 Minuten in der Woche und man kann es auf mehrere Sitzungen aufteilen
- Lieber zwei-drei Mal die Woche, als einmal lange.
- Kälte ist subjektiv: Eine der häufigsten Fragen ist, wie kalt muss das Eisbad sein? Es gibt keine feste Vorschriften. Eine gute Faustregel ist, dass du den inneren Drang verspürst sofort wieder herauszugehen. Ob das Wasser jetzt 12, 8 oder 5 Grad Celcius hat, ist dabei nicht entscheidend. Je kälter das Wasser, desto kürzer benötigst du, um die gesundheitlichen Vorteile zu aktivieren.
- Abends oder morgens? Auch hier geht es wieder nach persönlichen Vorlieben. Beides ist möglich. Allerdings steigt die Körpertemperatur nach dem Eisbaden an. Wie wir in unserem Schlaf Artikel beschrieben haben, kann dies hinderlich beim Einschlafen sein.
Gibt es nennenswerte Nebenwirkungen?
Bei all den Lorbeeren die Kältetherapie in Flyern und Magazinen einheimst, wird oft nur unzureichend über einhergehende Risiken gesprochen. Deshalb widmen wir uns hier potenziellen Nachteilen von Eisbaden und der Kältetherapie.
Durchaus nachvollziehbar ist die Möglichkeit von Erfrierungen, wenn man bei -190° in einer Kältesauna sitzt. Zudem kann auch eine sogenannte Kälteverbrennung auftreten. Dramatischer wird es, wenn von einer Erstickung die Rede ist – die extreme Kälte löst Reflexe aus und beeinflusst dadurch die Atmung – in sehr seltenen Fällen mit fatalen Folgen .
Gegen lokale Erfrierungen der Hände oder anderer problematischer Bereiche wie den Augen, gibt es in der Regel Sicherheitsvorkehrungen. Dennoch müssen diese Punkte mit erwähnt werden.
Transparente Anbieter von Kältesaunen haben Listen mit Kontraindikationen, die angeben, mit welchen Vorerkrankungen keine Kältesauna benutzt werden darf. Zu diesen absoluten Ausschlussgründen zählen eine PAVK (periphere arterielle Verschlusskrankheit), schwere koronare Herzerkrankungen oder Herzrhythmusstörungen, ein Herzschrittmacher, das Raynaud-Syndrom, ein unbehandelter arterieller Hypertonus oder auch eine Schwangerschaft. Bei akuten Infektionen ist eine Kältesauna ebenfalls nicht empfohlen.
Kältetherapie ist also nicht für jeden etwas.
Kältetherapie – das Fazit
Der Trend zu Cryosaunen nimmt höchstwahrscheinlich weiterhin an Popularität zu. Es spricht jedenfalls wenig gegen eine kalte Badewanne nach einer harten Sporteinheit. So kann relativ ungefährlich ausprobiert werden, ob Effekte spürbar sind oder nicht.
Als Beautygeheimnis ist dem Vernehmen nach eher die Cryosauna von Interesse. Hier müssen unbedingt mögliche Nebenwirkungen und die maue Datenlage berücksichtigt werden.
Quellen
Literatur:
- Kujawski S, Newton JL, Morten KJ, Zalewski P. Whole-body cryostimulation application with age: A review. J Therm Biol. 2021 Feb;96:102861. doi: 10.1016/j.jtherbio.2021.102861. Epub 2021 Jan 21. PMID: 33627288.
- D. Legrand, F. Bogard, F. Beaumont, B. Bouchet, Y. Blancheteau, G. Polidori,. Affective response to whole-body cryotherapy: Influence of sex, body mass index, age, time of day, and past experience, Complementary Therapies in Medicine, Volume 55, 2020, 102539, https://doi.org/10.1016/j.ctim.2020.102539.
- https://my.clevelandclinic.org/health/treatments/21099-cryotherapy
- Guillot X, Tordi N, Mourot L, Demougeot C, Dugué B, Prati C, Wendling D. Cryotherapy in inflammatory rheumatic diseases: a systematic review. Expert Rev Clin Immunol. 2014 Feb;10(2):281-94. doi: 10.1586/1744666X.2014.870036. Epub 2013 Dec 18. PMID: 24345205.
- Wang Y, Li S, Zhang Y, Chen Y, Yan F, Han L, Ma Y. Heat and cold therapy reduce pain in patients with delayed onset muscle soreness: A systematic review and meta-analysis of 32 randomized controlled trials. Phys Ther Sport. 2021 Mar;48:177-187. doi: 10.1016/j.ptsp.2021.01.004. Epub 2021 Jan 14. PMID: 33493991.
- Kwiecien SY, McHugh MP. The cold truth: the role of cryotherapy in the treatment of injury and recovery from exercise. Eur J Appl Physiol. 2021 Aug;121(8):2125-2142. doi: 10.1007/s00421-021-04683-8. Epub 2021 Apr 20. PMID: 33877402.
- O’Connor M, Wang JV, Saedi N. Whole- and partial-body cryotherapy in aesthetic dermatology: Evaluating a trendy treatment. J Cosmet Dermatol. 2018 Nov 19. doi: 10.1111/jocd.12821. Epub ahead of print. PMID: 30456782.
- https://www.hubermanlab.com/newsletter/the-science-and-use-of-cold-exposure-for-health-and-performance
- Lidell, Martin E. “Brown Adipose Tissue in Human Infants.”Handbook of experimental pharmacology 251 (2019): 107-123. https://my.clevelandclinic.org/health/treatments/21099-cryotherapy
- Moore, Emma et al. “Impact of Cold-Water Immersion Compared with Passive Recovery Following a Single Bout of Strenuous Exercise on Athletic Performance in Physically Active Participants: A Systematic Review with Meta-analysis and Meta-regression.”Sports medicine (Auckland, N.Z.) 52,7 (2022): 1667-1688 Link
- Mills, Evanna L et al. “Accumulation of succinate controls activation of adipose tissue thermogenesis.”Nature 560,7716 (2018): 102-106. Link
Grafiken:
Die Bilder wurden unter der Lizenz von Canva erworben.