„Wie geht es Dir?“. Etliche Male kommt diese Frage von unseren Lippen. Sei es aus reiner Höflichkeit, mit aufrichtigem Interesse oder als einleitende Worte für ein Gespräch. Mit dieser Schlüsselfrage erkundigen wir Menschen uns nach dem Wohlbefinden der anderen. Dabei öffnet sich aber selten die Tür zu unserem Befinden und gibt die wahre Antwort preis. Denn meistens bleibt es nur bei einem halb ehrlichen „Gut und dir?“. Schon komisch, aber warum ist das so? Gesundheit ist ja eines der wichtigsten Güter in unserem Leben und darüber sollte man reden. Nein, nichtsollte. Darübermussman reden. Das klingt eindeutig besser. Und deshalb sprechen wir jetzt darüber. Über Gesundheit und Krankheit, über Lebensspanne und Gesundheitsspanne, und welche Rolle die moderne Medizin darin spielt und was du daraus machen kannst. Nein, nichtkönnen.Müssensollte es wiederum heißen. Und dieses Mal bleibt die Tür zu unserem Wohlbefinden nicht geschlossen, sondern wird sperrangelweit geöffnet.
Krankheit versus Gesundheit
Um sich der Antwort auf die titelgebende Frage anzunähern, hilft es, die andere Seite der Medaille etwas genauer zu betrachten. Denn ohne Erkrankungen ist man, salopp gesagt, einfach gesund. Klingt schlüssig, aber stimmt das überhaupt? Werfen wir einen kurzen Blick auf die Definition von Gesundheit der Weltgesundheitsorganisation. Diese definierte Gesundheit als einenZustand völligen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein oder Fehlen von Krankheit und Gebrechen. Also gehört viel mehr dazu als nur die Abwesenheit von körperlichen Leiden. Den immensen Einfluss der Gefühlswelt und persönlichen Einstellung darf man keinesfalls unterschätzen.
Gesundheit ist ein subjektiv empfundener Zustand abseits der diagnostischen Nachweisbarkeit. Hier gibt es viele Grauzonen zwischen Krankheit und Gesundheit: Man kann eben krank sein, sich aber trotzdem gesund fühlen. Umgekehrt kann ein Mensch sich krank fühlen, jedoch klinisch betrachtet vollkommen gesund wirken. Doch, bevor wir ganz auf die philosophische Spur geraten, kratzen wir schnell die Kurve und kommen zurück auf den Punkt.
Die moderne Sicht auf Gesundheit
Diese angesprochenen Grauzonen zeigen uns, dass Gesundheit und Krankheit keine ganz widersprüchlichen Begriffe sind. Wenn es um das Befinden geht, gibt es kein Alles-oder-Nichts-Denken. Nach dem Motto, entweder Schwarz oder Weiß, Tag und Nacht, groß oder klein. Vielmehr sind Gesundheit und Krankheit Extrempole eines gemeinsamen Kontinuums. Wenn man die Farben Schwarz und Weiß im Malkasten mischt, erhält man ja genauso unterschiedlichste Grautöne. Mit wissenschaftlicheren Worten vom Gesundheitsexperte Klaus Hurrelmann gesagt:Gesundheit ist nach diesem Verständnis ein angenehmes und durchaus nicht selbstverständliches Gleichgewichtsstadium von Risiko- und Schutzfaktoren, das zu jedem lebensgeschichtlichen Zeitpunkt erneut hergestellt werden muss. Gelingt dieses Gleichgewicht, dann kann dem Leben Freude und Wohlbefinden abgewonnen werden. Ist dem nicht der Fall, so wird man krank. Krankheit ist dabei eine normale Erscheinung im Leben des Menschen. Und wenn man krank ist, dann gehtman zum Arzt. Aber muss man unbedingt krank sein, damit man erst zum Arzt gehen darf? Nein.
Revolution der Denkweise über Gesundheit
Ein kleiner Ausflug in die Welt der Cinematographie. Im Film Inception von Christopher Nolan erklärt Cobb, gespielt von Leonardo DiCaprio, dass es nichts Ansteckenderes oder Resistenteres gibt als einen Gedanken. Weder ein Virus noch ein Bakterium, sondern eine einfache Idee. „Denke nichtan einen blauen Elefanten“ und schon erscheint eben dieser vor unserem geistigen Auge. Dieses Beispiel par excellence unterstreicht die Kräfte unserer Gedankenwelt. In diesem Artikel soll es sich aber nicht um das große Kino drehen, sondern vielmehr um die Idee und den Gedanken hinter Beyond Lifespan. Der Gegenstand und Hauptfokus der heutigen Medizin liegt hauptsächlich auf der Krankheit und dem kranken Menschen, anstatt der Gesundheit und dem gesunden Menschen.Bereits der gesunde Mensch muss zum Arzt gehen.Nicht erst wenn es zu spät ist und er schon erkrankt ist. Denn das ständige Hinterherlaufen von Krankheitsprozessen führt zu einer starken Einschränkung der Lebensqualität. Denke malnichtdarüber nach!
sick care ≠ health care
Die angesprochene Priorisierung von kranken Menschen im Gesundheitssystem führte zur Trennung der Medizin in drei Strategien. Einerseits die Kuration, also Heilung von Erkrankungen, und die präventive Medizin, durch Vermeidung, Früherkennung und Milderung von Krankheiten. Andererseits gibt es noch einen weiteren Schrittvorder Prävention und kurativen Medizin, dieGesundheitsförderung. Gegenstand der Gesundheitsförderung ist eben nicht der kranke, sondern endlich der gesunde Mensch. Hier lautet die Gretchenfrage demnachwarum bleiben Menschen gesund, anstatt warum werden wir krank! Die Antwort darauf verrät uns die Gesundheitsförderung. Ihr Ziel ist die Erhaltung und Steigerung von Gesundheit durch Verstärkung von Protektivfaktoren am gesunden Menschen. In der Gesundheitsförderung geht es also um Schutzfaktoren statt um Risikofaktoren. Diese gesundheitsunterstützenden Maßnahmen sind im Gegensatz zur Prävention unspezifisch und nicht krankheitsorientiert. DieVermeidung von KrankheitundFörderung der Gesundheitsind demnach unterschiedliche medizinische Ansätze. Primärprävention und Gesundheitsförderung, zwei Begriffe, ein Ziel: Menschen ein langes, gesundes Leben zu ermöglichen.
Werkzeuge zur Förderung der Gesundheit
Das klingt natürlich sehr verlockend. Ein hohes Alter zu erreichen, aber fitter, gesünder und selbstbestimmter als zuvor. Wie kann man sich das vorstellen? Die Antwort liegt wohl auf der Hand. Gesundheitsförderung zielt auf einen Prozess, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und dadurch ihre Stärkung zu befähigen.
Man kann sich Gesundheitsförderung wie einen medizinischen Werkzeugkasten vorstellen, vollbeladen mit unzähligen Werkzeugen für das Wohlbefinden des menschlichen Körpers. Darin liegen unterschiedlichste Hilfsmittel bereit den Menschen zu unterstützen. Was Risikofaktoren sind, ist jedem von uns geläufig. Die übliche Leier von nicht Rauchen und wenig Alkohol. Schutzfaktoren sind das genaue Gegenteil. Hier ist der Mensch aktiver Hauptdarsteller und keine Nebenrolle im Drama über seine Gesundheit. Während der Arzt eine wichtige, begleitende Aufgabe hat, steht der Mensch eigenmächtig und tatkräftig für seine Gesundheit ein. Dabei sind genügend Bewegung, gesunde Ernährung, ausreichend Schlaf, optimistische Lebenseinstellung und sozialer Zusammenhalt unsere wichtigsten Werkutensilien.
Medizin, ein Tool für die Gesundheit
Damit der Werkzeugkasten seine volle Wirkungen zeigen kann, braucht es Anpassungen im Lebensstil und sozialen Umfeld. Diese Umstrukturierungen bedeuten nicht, dass man sein Leben komplett umkrempeln und auf den Kopf stellen muss. Bereits ein bloßer Gedanke an die eigene Gesundheit kann Berge versetzen. Angefangen mit kleinen Schritten, erlangt man schließlich Bewusstsein für das Wohlbefinden und kann mit weiteren Schutzfaktoren den Körper stärken. Der deutsche Philosoph Ernst Bloch definierte einst Gesundheit als „etwas, das genossen, nicht verbraucht werden soll.“ Wir alle altern jeden Tag. Das steht außer Frage. AberWiewir altern, liegt in unseren Händen.
Quellen
Literatur:
Weltgesundheitsorganisation (WHO). Ottawa Charta for Health Promotion. 1986.
Martin Hafen:Was unterscheidet Prävention von Gesundheitsförderung?In: Prävention – Zeitschrift für Gesundheitsförderung, H. 1 2004, S. 8–11.
World Health Organization. (1946). Verfassung der Weltgesundheitsorganisation.New York, NY.
World Health Organization. Health Promotion Glossary. Geneva 1986 und 1998 WHO/HPR/HEP/98.1 36
Klaus Hurrelmann:Gesundheitswissenschaften.Springer, Heidelberg 1999.
Klaus Hurrelmann, Matthias Richter:Gesundheits- und Medizinsoziologie.8. Auflage. Beltz Juventa, Weinheim 2013.
Klaus Hurrelmann, Oliver Razum (Hrsg.):Handbuch Gesundheitswissenschaften.6. Auflage. Beltz Juventa, Weinheim 2016.
Badura, B. (1992a): Gesundheitsförderung und Prävention aus soziologischer Sicht.
In: Paulus, P. (Hg.): Prävention und Gesundheitsförderung. Perspektiven für die psychosoziale Praxis. Köln: GwG-Verlag, S. 43–52.
Grafiken
Die Grafiken wurden unter Lizenz von Canva erworben.