Rock Around the Clock von Bill Haley & His Comets wurde in den 60er Jahren zum Welthit. In etwa zur selben Zeit prägte die Wissenschaft den Begriff zirkadianer Rhythmus. Ist das nur Zufall? Ja, mit ziemlicher Sicherheit. Wir wollen trotzdem die Gemeinsamkeit im Blick behalten, und zwar „Uhren“. Die Geschichte der Zeitmessgeräte geht mehrere Jahrtausende zurück. Nicht immer war es die schicke Armbanduhr, die es möglich machte, zeitliche Abstände zu messen oder Zeitpunkte zu definieren. In etwa 3000 v. Chr. verwendeten die Sumerer zum Beispiel einfache Schattenstäbe im Rahmen einer Sonnenuhr. Kann man die Geschichte der Uhr noch weiter zurückverfolgen? Historisch nein, biologisch ja.
Die allererste Uhr waren eigentlich wir Menschen. Um genau zu sein wahrscheinlich auch alle Formen des Lebens vor uns, aber wir wollen den Blick für das Wesentliche nicht verlieren. Die Uhr bestand allerdings nicht aus Gold, Silber und Diamanten, sondern aus Hormonen und Proteinen. Das tut sie immer noch und wir nennen sie innere Uhr oder zirkadianen Rhythmus.
Was heißt zirkadian?
Das Adjektiv „zirkadian“ kommt aus dem Lateinischen und kann als „rings um den Tag“ oder „ungefähr einen Tag“ aufgefasst werden (lat. circa „um… herum“; dies „Tag“). Im Laufe eines Tages variieren die Bedingungen unserer Umwelt ständig. Konkret ändert sich die Menge an Licht, die Temperatur und auch die Verfügbarkeit von Nahrung. Das alles passiert auf der Erde mit einer ungefähren Periodenlänge von 24 Stunden – circa einem Tag. Wenn sich Lebewesen auf diese einschneidenden Veränderungen anpassen können, dann haben sie einen Überlebensvorteil.
Tatsächlich haben wir aber nicht nur die eine innere Uhr, sondern Millionen von kleinen Zeitmessern. Praktisch jede Zelle unseres Körpers hat eine eigene Uhr. Unsere „innere Uhr“ hat nun die Aufgabe ebendiese zahlreichen Uhren miteinander zu synchonisieren. Das ist wichtig, um der Vielfalt chemischer Reaktionen einen zeitlichen Rahmen zu geben – passen doch nicht alle chemischen Reaktionen zur selben Zeit ins Programm. So ähnlich, wie auch keine große Sendeanstalt auf allen Kanälen gleichzeitig Blockbuster ausstrahlt. Das würde die Kunden eher weniger zufriedenstellen.
Es gibt noch weitere Rhythmen, die nicht der 24-stündigen Periodizität folgen. Infradiane Rhythmen dauern deutlich länger als einen Tag und schließen beim Mensch beispielsweise den Sexualzyklus oder die Reproduktion ein. Demgegenüber stehen ultradiane Rhythmen mit einer kürzeren Periodenlänge als einem Tag. Dazu zählen Herzschlag, Atmung oder Schlafphasen.
Jet-lag – wenn sich die innere Uhr meldet
Was manche Leute als beruhigend empfinden, treibt andere in den Wahnsinn: das periodische „Tick, tack“ von analogen Uhren. Das ist beim Zeitmesser aus Fleisch und Blut kein Thema, denn wir hören unsere innere Uhr nicht ticken. Eigentlich bekommen wir von den ganzen Regulationsvorgängen überhaupt nichts mit, zumindest solange alles adäquat funktioniert.
Der zirkadiane Rhythmus muss aber ständig resynchronisiert werden. Im 19. Jahrhundert war das vorwiegend durch die wechselnde Tageslänge, einer Folge des Jahreszeiten-Wechsels, bedingt. Dann kamen das Flugzeug und die Langstreckenflüge. Das macht eine sehr kurzfristige Anpassung des zirkadianen Rhythmus notwendig. Die anfänglich fehlende Übereinstimmung zwischen Zeitzone und innerer Uhr macht sich bei uns als Jet-lag bemerkbar. Der Zeitzonenkater äußert sich durch Schlaflosigkeit, Müdigkeit, Appetitlosigkeit oder Stimmungsschwankungen. Interessant ist hierbei auch, dass die Flugrichtung eine Rolle spielt. Flüge nach Westen werden in der Regel besser vertragen als Flüge in Richtung Osten.
Um mit den unter Umständen sehr belastenden Symptomen fertig zu werden, gibt es ein paar allgemeine Verhaltensempfehlungen:
– am Tagesrhythmus des Zielortes teilnehmen
– viel Zeit im Freien verbringen – Licht ist der wichtigste Taktgeber
– ausreichend schlafen, ohne Hilfsmittel wie Schlaftabletten oder Alkohol
Nun steht dem nächsten Transatlantikflug nichts mehr im Weg!
Die Aschoff-Regel – dauerhell und dauerdunkel
Wenn äußere Zeitgeber wie Licht zur Einstellung der inneren Uhr fehlen, dann ändern Tiere ihr Verhalten. Diese sehr interessante Beobachtung machte der Verhaltensphysiologe J. Aschoff in den 1960er Jahren. Bei tagaktiven Tieren geht die innere Uhr unter künstlichem Dauerlicht etwas schneller. Ist es hingegen dauerdunkel, dann ist der Rhythmus verlangsamt. Genau umgekehrt verhält es sich bei nachtaktiven Tieren. In diversen Fachbüchern findet man diese Besonderheit heute unter dem Begriff Aschoff-Regel.
Wie funktioniert der zirkadiane Rhythmus?
Grundsätzlich funktioniert unsere innere Rhythmik unabhängig von äußeren Faktoren. Der Prozess kann sich allerdings einem mehr oder weniger genauen 24-Stunden-Zyklus anpassen mithilfe von sogenannten Zeitgebern. Man nennt diesen Vorgang auch Synchronisation. Der universellste und wichtigste Zeitgeber für unsere innere Uhr ist wahrscheinlich das Licht. Daneben spielen auch Umgebungstemperatur oder soziale Reize eine Rolle.
Die Synchronisation geschieht durch spezielle Rezeptoren in der Netzhaut des Auges. Genannte Zellen leiten Signale weiter an den Nucleus suprachiasmaticus im Hypothalamus. Das ist die zentrale Schaltstelle unserer inneren Uhr, über die Körpertemperatur, Herzfrequenz, Blutdruck, Hormonspiegel und viele weitere Körperfunktionen reguliert werden. Ausgehend von diesem Hirnkern werden weitere periphere Schrittmacher getaktet. Im Gehirn spielt zudem noch das von der Zirbeldrüse produzierte Melatonin eine wichtige Rolle in der Regulation vom Schlaf-Wach-Rhythmus.
Mehrere Gene steuern über eine außerordentlich komplexe Wechselwirkung von Transkription und Translation den Rhythmus. Zur Erinnerung: Transkription ist das Abschreiben von genetischer Information und Translation das Übersetzen von DNA-Sprache in Proteine. Bei der Wechselwirkung handelt es sich um Feedback-Schleifen, die sich selbst regulieren und circa einen Tag in Anspruch nehmen. Klingt kompliziert – ist es auch. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit dem Regulations-Loop würden den Rahmen dieses Textes sprengen.
Wenn die Uhr aus dem Takt kommt
Unser Biorhythmus ist nicht nur wichtig, sondern seit 2017 sogar Nobel-wichtig. Damals erhielten die Wissenschaftler Jeffrey C. Hall, Michael Rosbash und Michael W. Young den Nobelpreis für Medizin und Physiologie aufgrund der Entdeckung von molekularen Mechanismen, die den Biorhythmus steuern. Sie gewannen die Erkenntnisse an der Fruchtfliege, stellvertretend für andere Spezies.
Die Bedeutung dieser Thematik reicht an jeden einzelnen Menschen heran. Leben wir dauerhaft gegen unsere innere Uhr, kann das Risiko für Krebs, neurologische- und Stoffwechselkrankheiten oder Depressionen steigen. Rock Around the Clock bleibt deshalb wohl besser nur Musik in unseren Ohren und keine Lebenseinstellung.
Quellen
- https://www.spektrum.de/lexikon/biologie-kompakt/aschoff-regel/948
- https://www.nobelprize.org/prizes/medicine/2017/summary/
- Herxheimer, A. (2014). Jet lag. BMJ clinical evidence, 2014. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4006102/
- Roenneberg, T., Kuehnle, T., Juda, M., Kantermann, T., Allebrandt, K., Gordijn, M., & Merrow, M. (2007). Epidemiology of the human circadian clock. Sleep medicine reviews, 11(6), 429-438. https://doi.org/10.1016/j.smrv.2007.07.005
- Ko, C. H., & Takahashi, J. S. (2006). Molecular components of the mammalian circadian clock. Human molecular genetics, 15(suppl_2), R271-R277. https://doi.org/10.1093/hmg/ddl207
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