Der Begriff “Inflammaging” wurde erstmals von Claudio Franceschi im Jahr 2000 erwähnt, einem Wissenschaftler, der sich auf die Erforschung des Alterns und insbesondere auf die Verbindung zwischen Immunsystem und Alterungsprozess spezialisiert hat.
Inflammaging beschreibt eine chronische, schwach ausgeprägte Entzündungsreaktion, die im Alterungsprozess auftritt. Diese Entzündung ist klinisch oft nicht direkt erkennbar und wird durch eine unausgewogene Regulation des Immunsystems verursacht. Typischerweise wird Inflammaging durch erhöhte Konzentrationen proentzündlicher Zytokine im Blut älterer Menschen erkannt. Zytokine, wie beispielsweise IL-1, IL-6 und TNF-α, sind Signalstoffe, mit denen unser Immunsystem kommuniziert und so Entzündungen entstehen lässt.
Müde Immunzellen – warum unsere Abwehr im Alter nachlässt
Unser Immunsystem trägt also einerseits durch die vermehrte Produktion von Entzündungsmolekülen zum Inflammaging bei. Zusätzlich entsteht ein Ungleichgewicht zwischen den beiden Armen des menschlichen Immunsystems. Während unser angeborenes Immunsystem auch im Alter relativ gut funktioniert, zeigt das adaptive Immunsystem, das für spezifischere Immunantworten zuständig ist, deutliche Funktionseinschränkungen. Diese Funktionsstörung des adaptiven Immunsystems ist eng mit dem Konzept der Immunoseneszenz, also dem altersbedingten Leistungsverlust des Immunsystems, verbunden.
Immunoseneszenz bezieht sich auf die altersbedingte Abnahme der Funktion und der regulierten Reaktionen der T- und B-Lymphozyten auf chronischen Stress, wie z.B. Pathogene. Ein bisschen einfacher ausgedrückt: Deine T- und B-Zellen gehören zu deinem adaptiven Immunsystem. Die B-Zellen können z.B. die Antikörper produzieren, mit denen Krankheitserreger, wie Viren, gekennzeichnet werden. So kann dein Körper effektiv Eindringlinge bekämpfen. Im Alter funktioniert das leider nicht mehr so gut, da wir einerseits weniger Antikörper produzieren und andererseits unsere effektiven Killerzellen kampfmüde sind. Somit kommt es zu einer verminderten Fähigkeit des Körpers, auf Infektionen und andere Immunherausforderungen effektiv zu reagieren.
Inflammaging und Immunoseneszenz sind somit zwei eng miteinander verbundene Phänomene, die gemeinsam den Alterungsprozess des Immunsystems darstellen. Während Inflammaging sich auf die chronische Entzündungsreaktion bezieht, beschreibt Immunoseneszenz die allgemeine Abnahme der Immunfunktion im Alter. Beide Prozesse beeinflussen sich gegenseitig und tragen zu den Herausforderungen des Alterns bei.
Fördert Inflammaging die Entstehung altersbedingter Krankheiten?
Es wurde früher angenommen, dass Inflammaging eine Hauptursache für viele chronische Krankheiten ist, die ältere Menschen betreffen.
Das Konzept hat zu einem besseren Verständnis von Alterungsprozessen geführt, insbesondere in Bezug auf die Geroscience, einem Forschungsbereich, der sich mit dem Zusammenhang zwischen Altern und Krankheiten beschäftigt. Geroscience zeigt, dass das Altern selbst ein wichtiger Faktor für viele Krankheiten ist.
Inflammaging steht in Verbindung mit einer Reihe von Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, neurodegenerativen Störungen, Atemwegserkrankungen und Krebs. Diese Krankheiten entwickeln sich oft über lange Zeit und beginnen mit Entzündungsprozessen im Körper.
Obwohl Inflammaging oft als ein Indikator für gesundheitliche Probleme angesehen wird, ist es noch unklar, wie genau es zu Krankheiten beiträgt und ob es ein optimales Niveau an Inflammaging gibt, das weder zu hoch noch zu niedrig ist.
Ist Inflammaging immer schlecht?
Inflammaging ist nicht notwendigerweise immer schlecht. Während es oft mit negativen Aspekten des Alterns und der Entwicklung von altersbedingten Krankheiten in Verbindung gebracht wird, ist das Gesamtbild komplexer.
Inflammaging ist ein Teil des natürlichen Alterungsprozesses und spielt eine Rolle in der Immunantwort des Körpers. Eine niedriggradige, chronische Entzündungsreaktion kann in bestimmten Situationen sogar schützend wirken. Zum Beispiel kann sie helfen, Krankheitserreger abzuwehren und beschädigte Zellen zu reparieren. In diesem Sinne kann Inflammaging als ein notwendiger Mechanismus für die Aufrechterhaltung der Gesundheit im Alter angesehen werden.
Jedoch, wenn diese Entzündungsreaktionen zu stark oder zu langanhaltend sind, können sie zu verschiedenen gesundheitlichen Problemen führen, darunter die bereits zuvor erwähnten altersbedingten Krankheiten. In solchen Fällen wird Inflammaging als ein Faktor angesehen, der zum Krankheitsprozess beiträgt.
Interessanterweise zeigen einige Studien, dass bei Personen, die ein sehr hohes Alter erreichen (wie Hundertjährige), Inflammaging in einer Weise vorhanden sein kann, die als schützend interpretiert wird. Hundertjährige weisen oft Anzeichen systemischer Entzündung auf (z.B. hohe Plasmaspiegel von IL-6 und IL-8) sowie eine verminderte antioxidative Abwehr. Dennoch vermeiden oder verzögern diese außergewöhnlichen Individuen den Beginn chronischer altersbedingter Krankheiten wie Typ-II-Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Dies deutet darauf hin, dass die Beziehung zwischen Inflammaging und Gesundheit im Alter komplex ist und möglicherweise von individuellen Unterschieden in der Immunregulation und anderen Faktoren abhängt.
Wie wird Inflammaging gemessen?
Der Fortschritt des Entzündungsalterns wird vor allem durch die Messung von Biomarkern im Blut bestimmt, die auf Entzündungsprozesse im Körper hinweisen. Diese Biomarker umfassen hauptsächlich proinflammatorische Zytokine, Akute-Phase-Proteine und andere Entzündungsmediatoren. Hier sind einige der häufigsten Methoden und Marker zur Messung von Inflammaging:
- Proinflammatorische Zytokine: Dazu gehören Interleukin-6 (IL-6), Tumornekrosefaktor-α (TNF-α) und Interleukin-1β (IL-1β). Erhöhte Spiegel dieser Zytokine im Blut sind häufige Indikatoren für Inflammaging.
- C-reaktives Protein (CRP): CRP ist ein Akut-Phase-Protein, das in der Leber produziert wird und dessen Spiegel im Blut bei Entzündungen ansteigen. Es ist ein allgemeiner Marker für Entzündungen und wird häufig verwendet, um das Ausmaß von Inflammaging zu beurteilen.
- Erythrozyten-Sedimentationsrate (ESR): Diese Messung gibt an, wie schnell rote Blutkörperchen in einer Probe innerhalb einer bestimmten Zeit absinken. Eine erhöhte ESR kann ein Hinweis auf Entzündungsprozesse im Körper sein.
- Fibrinogen: Dies ist ein weiteres Protein, das bei Entzündungen erhöht sein kann und als Marker für Inflammaging verwendet wird.
- Zelluläre Seneszenzmarker: Bestimmte Veränderungen in Zellen, die auf Seneszenz (den Prozess des biologischen Alterns auf zellulärer Ebene) hinweisen, können auch als Indikatoren für Inflammaging herangezogen werden. Dazu gehören Veränderungen in der Telomerlänge, der Aktivität von Seneszenz-assoziierten β-Galaktosidase und der Expression bestimmter Gene.
- Advanced Glycation End Products (AGEs): AGEs sind Verbindungen, die durch die Reaktion von Proteinen oder Lipiden mit Zucker entstehen und im Alterungsprozess zunehmen können. Sie werden mit Inflammaging in Verbindung gebracht. Hier erfährst du mehr zum Thema AGEs.
Die Messung von Inflammaging umfasst oft eine Kombination, mehrere Biomarker und klinischer Bewertungen, um ein umfassendes Bild des Entzündungsstatus einer Person zu erhalten.
Darüber hinaus kann der Fortschritt von Inflammaging von Person zu Person unterschiedlich sein, abhängig von genetischen Faktoren, Lebensstil, bestehenden Krankheiten und anderen individuellen Unterschieden.
Kann man Inflammaging verlangsamen?
Um diese Frage gründlich beantworten zu können, bedarf es an qualitativen Langzeitstudien, die bislang noch nicht vorhanden sind. Es handelt sich um einen komplexen Prozess, der anhand vieler verschiedener Parameter gemessen. Zudem gibt es große individuelle Unterschiede in Bezug auf das Altern und die Entzündungsprozesse im Körper. Dies erschwert es gezielte Studien zu entwerfen, die alle relevanten Aspekte abdecken.
Um den Auswirkungen von Inflammaging entgegenzuwirken, könnten verschiedene Strategien verfolgt werden, die sich auf Lebensstiländerungen, Ernährung, körperliche Aktivität und gegebenenfalls medizinische Interventionen stützen. Hier sind einige praxisnahe Ansätze, die helfen können:
Inflammaging Ernährung – mediterran und nicht zu viel
Eine Übersichtsarbeit von 2022 untersuchte, wie Entzündungen im Alter, durch Ernährung beeinflusst werden können.
Die Forscher untersuchten, wie bestimmte Arten von Ernährung, wie die Mittelmeerdiät, und auch Fasten (Kalorienreduktion) helfen können, diese Entzündungen zu verringern. Sie haben herausgefunden, dass eine gesunde Ernährung, besonders die Mittelmeerdiät, die Entzündungsmarker senken kann. Das bedeutet, dass Lebensmittel wie Vollkornprodukte, Gemüse, Olivenöl, Obst, und Nüsse gut sind, um diese Art von Entzündung zu reduzieren.
Ein weiterer interessanter Punkt der Studie ist, dass die Bakterien im Darm (das Mikrobiom) eine wichtige Rolle spielen. Wenn das Gleichgewicht dieser Bakterien gestört ist, kann das zu schlechterer Gesundheit und Wohlbefinden im Alter führen. Die vermuten denken, dass man durch Veränderung der Bakterien im Darm einige Krankheiten lindern könnte.
Zusätzlich konnten die Forscher feststellen, dass eine Kalorienrestriktion sowohl die Entzündung verringert als auch gewisse Langlebigkeitspfade aktiviert. Dazu zählen unter anderem die Sirtuine, die durch Fasten aktiviert werden.
Derzeit wird daran geforscht, ob man Medikamente entwickeln kann, die die gleichen positiven Effekte haben wie Fasten. Solche Fastenmimetika spielen dem Körper einen Nährstoffmangel vor, obwohl keiner vorhanden ist. Auf dieser Grundlage basiert auch die Forschung von Valter Longo.
Bewegung – die geheime Wunderpille
In einer Übersichtsarbeit von 2023 wurde untersucht, wie sich verschiedene Arten von Bewegung, wie Ausdauertraining, Krafttraining und eine Kombination aus beidem (konzentriertes Training), auf Entzündungsmarker im Körper von übergewichtigen Menschen mit Herzschwäche (Herzinsuffizienz) auswirken.
Die Forscher haben viele Studien analysiert, um herauszufinden, ob diese Trainingsarten Entzündungsmarker wie TNF-α, IL-6, IL-1-beta, IL-8 und hochsensitives C-reaktives Protein (hs-CRP) verringern können. Wie bereits erwähnt sind diese Marker Teil dessen, was wir Inflammaging nennen, also die zunehmende Entzündung im Körper, die mit dem Alterungsprozess verbunden ist.
Die Ergebnisse zeigen, dass durch Bewegungstraining Entzündungsmarker wie IL-6 und hs-CRP bei Menschen mit Herzinsuffizienz deutlich gesenkt werden können. Besonders interessant ist, dass spezifische Arten von Training bei bestimmten Personengruppen besonders wirksam waren. So führte zum Beispiel konzentriertes Training bei mittelalten Menschen und Training mit hoher Intensität zu einer stärkeren Reduktion von TNF-α. Auch bei IL-6 und hs-CRP gab es ähnliche Ergebnisse, wobei hier auch moderates Training und verschiedene Altersgruppen (mittelalt und älter) positive Effekte zeigten.
Insgesamt bestätigen die Ergebnisse, dass Ausdauertraining und konzentriertes Training dabei helfen können, Entzündungsmarker zu verbessern. Diese positive Wirkung von Bewegung auf Entzündungsmarker wurde bei verschiedenen Altersgruppen, Trainingsintensitäten, Trainingsdauern und verschiedenen Formen der Herzinsuffizienz beobachtet.
Stressbewältigung
Chronischer Stress kann Entzündungsprozesse im Körper verschlimmern. Hier sind bewährte Techniken, die nachweislich dazu beitragen können, Stress zu reduzieren:
- Hobbys und kreative Aktivitäten: Beschäftigungen, die Freude bereiten und die Kreativität fördern, können als Stressausgleich dienen.
- Tiefe Atemübungen: Langsames, tiefes Atmen kann helfen, den Körper zu beruhigen und den Geist zu entspannen.
- Progressive Muskelentspannung: Dabei spannst du gezielt verschiedene Muskelgruppen an und entspannst sie wieder, um körperliche Anspannung zu reduzieren.
- Spaziergänge in der Natur: Zeit in der Natur zu verbringen, besonders Spaziergänge durch den Wald, können Stress abbauen und die Stimmung verbessern.
- Achtsamkeitstraining: Achtsamkeit hilft dir, im gegenwärtigen Moment zu bleiben und dich nicht von stressigen Gedanken überwältigen zu lassen.
- Soziale Interaktion: Zeit mit Freunden und Familie zu verbringen, kann unterstützend und stressmindernd wirken.
Seneszenz – die Zombiezellen in Schach halten
Falls du dich fragst, was Seneszenz bedeutet, dann ließ dir gerne unseren Artikel über die Seneszenz und die Zombizellen durch. Hier haben wir alles für dich recherchiert. Kurz zusammengefasst, sind seneszente Zellen in einer Art „Zombie-Modus“. Nicht mehr lebend, aber auch noch nicht tot. Die Wissenschaft rund um diese Zellart ist noch recht neu, doch man konnte herausfinden, dass diese Zellen einen chemischen Cocktail an Botenstoffen freisetzen, der zum Inflammaging beiträgt.
Was also dagegen tun? Vor allem sekundäre Pflanzenstoffe, wie das Quercetin aus der Schale von Äpfeln, scheinen dem Körper zu helfen diese untoten Zellen aufzufinden und zu eliminieren. Deshalb werden diese Moleküle auch Senolytika genannt.
Fazit
Die chronische Entzündung im Alter, das Inflammaging, ist noch ein junges Forschungsfeld. Unser Immunsystem wird mit dem Alter immer schwächer und Entzündungsboten können dazu beitragen, dass typische Alterserkrankungen stärker ausgeprägt werden. Durch die Kombination aus Sport, Ernährung, Stressreduktion und Fasten(mimetika) können wir das Inflammaging reduzieren.
Quellen
Literatur
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